Meine Geschichte

Hallo! Da ich selbst gerne schreibe und gerade an einer Geschichte rumbastle, werde ich bald die ersten Seiten hier raufstellen. Ich bitte euch mir in ehrlichen Kommentaren zu sagen, ob es euch gefällt oder nicht. Außerdem bitte ich euch die Geschichte nicht zu kopieren und zu verkaufen - es ist alles Urheberrechtlich geschützt. 

Erstes Kapitel
„Wie findest du es?“
Ich hatte diese Frage so satt. Wie oft hatte ich sie schon beantwortet? Sicher schon um die siebzig Mal und immer waren es Lobeshymnen gewesen. Konnte er nicht einmal zufrieden sein? Michels karamellbraune Augen funkelten begierig. Nur mit Mühe konnte ich ein Stöhnen unterdrücken. Er wollte noch mehr Lob. Noch mehr Lügen. Die Wahrheit war, ich fand das Gemälde, vor dem wir standen einfach nur langweilig. Weder der Pinselstrich und die kräftigen Linien, noch das Zusammenspiel der Farben konnten mich beeindrucken. Es war ein mittelmäßiges Gemälde einer gut bestückten Obstschale. Meiner Obstschale, wohlgemerkt, die auf meinem Esstisch stand. Hilfesuchend sah ich mich in dem kleinen Raum um. Die Ausstellung, in der wir uns befanden war überraschenderweise gut besucht und man konnte sich nur mehr Stück für Stück durch das Loft bewegen immer im Strom einer sich bewegenden Menschenmasse. Ich spürte sofort meinen Herzschlag ansteigen. Wie ich Menschenansammlungen verabscheute. Dabei hatte mir Michel versichert, es würde eine kleine Party werden. Zu meinem Glück blieb ich von einem weiteren geheucheltes Lob verschont, denn Sam teilte die Menge mit ihren kräftigen Kurven und ihrem hautengen Kleid in zwei Hälften und wackelte auf ihren High Heels zu uns hinüber. Michels Gesicht hellte sich auf, als sie auf ihn zukam und ihm Luftküsschen zuwarf. Mir nickte sie lediglich zu und ich war froh darüber. Luftküssen waren genauso abscheulich, wie Menschenansammlungen.
Mit einem französischen Akzent, der genauso falsch war, wie ihre Haarfarbe, flötete sie: „Allo mon amis. Es ist so schön eusch ier zu aben.“
Michel sah wie einer kleiner Junge zu Weihnachten aus, dem gerade alle Wünsche erfüllt wurden. Nun konnte ich ein Aufstöhnen nicht mehr verhindern. Das hinderte Sam natürlich nicht daran, einfach weiterzureden.
„Dein Gemälde – c’est manifique. Wirklisch einzigartig.“ Michel wand sich gekünstelt unter dem Lob, was, wie ich genau wusste, absolut gespielt war. Er brauchte Lob. Ohne, hätte er die Malerei schon längst wieder an den Nagel gehängt. Genauso wie die Schriftstellerei, den Töpferkurs, seine Youtube Karriere und seine Plattensammlung. Denn, sehr zu seinem Erstaunen, brauchten alle diese Sachen sehr viel Zeit und Hingabe. Zwei Dinge, mit denen er nicht das Geringste anzufangen wusste. Innerlich betete ich, dass die Malerei auch nur eine seiner Phasen war, doch es schien auf eine längerfristige Beziehung hinauszulaufen. Leider.
Ich schüttelte meine Gedanken ab und ermahnte mich seine Zufriedenheit zu bewundern. Schon lange war er nicht mehr so ausgelassen und glücklich, wie heute Abend. Einen ganzen Abend ging es einmal nur um ihn.
Die Ausstellung gehörte Sam, die ihn – den aufgehenden Stern, wie sie ihn immer nannte – entdeckt hatte. Ein Café im Künstlerviertel von Wien hängt Gemälde von unbekannten Künstlern für mehrere Wochen an ihre Wände und bieten sie zum Kauf an. Manche wurden so wirklich schon einmal berühmt und andere träumten davon. An dem ersten Tag, an dem sein Gemälde von meiner Obstschüssel an dem Café hing, saß er jeden Tag von Anfang bis Ende daneben und beobachtete, wie er dachte unbemerkt, die Leute. Am sechsten Tag – dem Wendepunkt – kam dann Sam ins Café gestöckelt. Sie war schon öfter dort gewesen und durch ihre Kunstausstellungen in dem kleinen Loft wurden schon ein paar wenige Talente entdeckt. Seit dem war Michels Flamme für die Kunst zu einem lodernden Feuer geworden, die bis heute brannte.
Es war nicht lange her, dass er auf meiner Couch gelegen und eine Chips Packung nach der anderen inhalierte, also war das doch eine Verbesserung. Sein Körper war wieder durchtrainiert und fest und seine dunklen Haar, die ihm bis zu den Schultern gingen, endlich wieder gewaschen. Alles, seit Sam in sein Leben getreten ist. Da kann man der weißblonden New Yorkerin – oder auf Französin – nur dankbar sein. Ich beschloss die beiden alleine zu lassen, die gerade eine Diskussion über die Farbstimmung begannen und wand mich suchend nach einem Kellner mit Sekttablett zu. Doch ich erkannte nur die vielen Menschen, die sich an mir vorbei drängten und ihr Interesse an der Kunst vorheuchelten, während sie sich eigentlich nur betrinken und jemanden abschleppen wollten. Dafür waren Sams Partys nämlich berüchtigt. Die Masse verschwamm vor meinen Augen und mich überflog leichte Panik. Ich hätte mich zu Michel umdrehen und mich von ihm beruhigen lassen können, aber ich wollte ihn in seinem Glanzmoment nicht stören. Mein Sichtfeld wurde immer kleiner und ich hätte wohl auf Michels Ruhm gepfiffen, wenn ich nicht in diesem Moment James entdeckt hätte. Wie ein Fels in der Brandung stand er an der beschlagenen Türe nach draußen und sah mich direkt an. Mit seinen ein Meter und neunzig überragte er locker alle, die hier waren und seine Anwesenheit beruhigte mich sofort. Mit zitternden Knien kämpfte ich mich zu ihm hinüber und lehnte mich gegen die Fensterscheibe neben ihm. Die Kälte drang durch meine Kleider und beruhigte mich ungemein. Während ich noch meinen Atem unter Kontrolle zu bekommen versuchte, fing er an zu reden.
„Ich habe Michel vorhin kurz zugehört. Wie oft will er dich eigentlich noch fragen, ob dir sein scheiß Bild gefällt?“ Typisch James. Er schimpfte gerne und dachte quasi immer das Selbe, wie ich. „Und noch viel wichtiger, wann erzählst du ihm, dass du das Gemälde für Mist hältst?“ Und er kannte mich besser, als irgendjemand sonst. Er war mein bester Freund, schon seit ich ein Kind war. James war in der Kindheit mein Fels in der Brandung und nach dem Unfall das Wichtigste in meinem Leben. Ich schüttelte nur leicht den Kopf als Antwort. Ich wollte mich nicht mit ihm streiten. Das taten wir immer, wenn wir das Thema Michel streiften. Richtig geredet darüber hatten wir sowieso noch nie. Er verstand nicht, was ich an ihm fand.
„Der Kerl ist selbstbezogen, nervig und ein Schwachkopf.“  Ich warf ihm einen kurzen, strengen Blick zu, um ihn zum Schweigen zu bringen. Es klappte nicht. „Mach endlich mit ihm Schluss und such dir jemanden, der dich verdient.“
„Das sagt sich natürlich leicht in deiner Position“, zischte ich und wollte das Thema damit beenden. Ich richtete meinen Blick auf meine Spiegelung im Fenster. Die dunklen Haare fielen glatt bis zu meinen Hüften und verdeckten einen Großteil des blauen Cocktailkleides, dass ich mir letzte Woche gekauft hatte. Ich kam nicht umhin zu bemerken, dass ich müde aussah. Nicht mal das teure Make Up konnte das vertuschen. Ich lehnte mich mit dem Gesicht gegen die kalte Scheibe. Ich wollte mich nicht mehr ansehen. Nicht mehr in die leeren Augen starren. James sah aus, als wollte er etwas sagen, da fiel sein Blick auf etwas draußen und sein Gesicht erhellte sich. Automatisch dreht sich den Kopf und sah Amandas plattgedrücktes Gesicht am Fenster kleben. Die Menschen um mich herum starrten sie befremdlich an, aber ich konnte mein erstauntes Lachen kaum verbergen. Michel glänzte zu mir herüber, widmete sich dann aber wieder Sam und einer anderen vollbusigen Frau, die sich zu ihnen gesellt hatte und gerade schallend über etwas lachte, das mein Freund gesagt hatte. Eifersucht brannte in mir aus, aber bevor ich irgendetwas tun konnte, riss mich Amanda schon in ihre kurzen Arme. Sie riss aufgeregt ihren blauen Mantel auf und entblößte das pinke, sehr kurze Kleid das sie letzte Woche bei unserem Shoppingtrip unbedingt haben musste. Erleichtert seufzte ich auf.
„Danke, dass du da bist.“
„Machst du Witze?“ sie tat meinen Dank mit einer wegwerfenden Geste ab und sah sich um. „So wen muss man hier flachlegen um etwas zu trinken zu bekommen?“ Hinter ihr schmunzelte James, während er sich eine Zigarette ansteckte. Obwohl ich wusste, dass es keiner mitbekommen würde, warf ich ihm einen tadelnden Blick zu.
Amanda hatte inzwischen zwei Gläser Champagner und die Handynummer des Kellners bekommen und kam mit einem triumphierenden Lächeln auf mich zu. Gott, wie froh ich war sie hier zu haben. Mit ihr würde der Abend vielleicht doch noch lustig werden. Nicht, dass mir James nicht genügt hätte, aber wir wären vom Thema Michel vermutlich nicht mehr weggekommen und das brauchte ich nicht. Besonders nicht heute.

Eine halbe Stunde lang zog mich Amanda durch die Ausstellung und flirtete mit den heißesten Besuchern mit einem XY Chromosom, während wir uns über Neuigkeiten austauschten. Sie blieb, obgleich flirtend, die ganze Zeit an meiner Seite, was ich ihr hoch anrechnete, denn einige Typen hier waren wirklich zum Anbeißen. Aber ihre Taktik für den heutigen Abend war es, die Männer zu sich kommen zu lassen und sie dann schnell wieder abzuschütteln um sich am Ende den besten auszusuchen und mit ihm nach Hause zu fahren. Dieses Prinzip wendete sie schon seit einigen Jahren an, seit dem Beginn ihres Studiums und es funktionierte tadellos. Amanda hatte mit ihren ein Meter fünfundfünfzig, dicken schwarzen Locken und dichten Wimpern aber auch eine besondere Ausstrahlung, die einen sofort verzauberte. Gepaart mit ihren mörderischen Kurven und dem hübschen Gesicht war sie eine Stadtschönheit die sich darauf verstand Männer mit nur einem Blick um den Finger zu wickeln. Nach ein oder zwei Monaten hatte sie jedoch schon wieder genug. Ich hatte nicht erlebt, dass eine ihrer Beziehungen länger angedauert hatte, als neun Wochen. Michel fand das traurig und eklig, James und ich hatten den allergrößten Respekt. Wenn mein einen Lebensstil lebt, dann schon richtig. Und das tat Amanda. Verlieben war für sie genauso ein Fremdwort, wie Sesshaft werden. Das passte einfach nicht zu ihr. Sie liebte ihre Unabhängigkeit und die vielen Möglichkeiten, die ihre das Leben bot und als Reisejournalistin lebte sie ihren eigenen kleinen Traum.
„Ist James eigentlich hier?“
Ich blinzelte heftig. Wir sprachen nicht oft über James. Zumindest nicht in der Öffentlichkeit.  Ich sah mich um und erhaschte gerade noch einen Blick auf ihn, bevor er durch die Türe trat, seine Zigarette auf den Gehsteig schnippte und mit sichtbarem Atem in die Nacht spazierte.
„Er geht gerade.“
„Ach so“, sie sah enttäuscht aus. Ich schmunzelte. Sie fand James immer schon recht spannend.
„Wen nimmst du denn heute mit nach Hause?“, versuchte ich da Thema zu wechseln. Mit Erfolg. Sie runzelte die Stirn und scannte die Männer wie ein Roboter, während sie sich einmal im Kreis drehte. Es gab kein Entkommen. Ich lachte in mich hinein und versuchte einen ernsten Gesichtsausdruck, als würden wir gerade eine sehr wichtige Unterhaltung führen. Dann zeigte Amanda unbeeindruckt auf einen ziemlich heißen Anzugträger mit Dreitagebart und verwegenem Blick. Er schien sie geradewegs anzustarren, nur wusste ich es besser. Er sah die Person neben meiner besten Freundin an. Mich.
Wie lange hatte ich dieses Gesicht schon nicht gesehen? Sieben Jahre, vielleicht acht. Es war ein viel zu heißer Augusttag und ich versteckte mich gerade im Stephansdom. Als ich gerade eine Kerze anzündete, stand er wie aus dem nichts plötzlich neben mir und er sah so froh aus, mich zu sehen. Ich erkannte ihn natürlich sofort. Pat. Eigentlich Patrick Sieber. Er war damals der beste Freund meines Bruders, Peter, gewesen und ich war in ihn verliebt. Unsterblich verliebt. Zu Teufel, ich war immerhin Sechzehn. Damals verschenkte ich mein Herz an jeden X-Beliebigen mit den richtigen Qualifikationen, die da wären: Zahnspange, kurze braune Haare und ein Jahr älter als ich. Gut mit seinen achtzehn Jahren war er zwar ein Jahr zu alt, aber das ließ ich ihn durchgehen, weil er einfach so unglaublich gut aussah. Später, als Peter ins Ausland studieren ging, kam er nicht mehr so oft. Ich überwand meine Verliebtheit und wendete mich anderen Jungs zu, die den Qualifikationen entsprachen.
Wir unterhielten uns kurz, er hatte ein kleines Mädchen auf den Schultern und ich nahm an, dass er schon Kinder hatte, fragte ihn aber nicht danach. Es war damals ein genauso großer Schock gewesen ihn zu sehen, wie heute auch. Der Schmerz brannte sofort wieder in mir auf und drückte mir die Kehle zu. Genau den gleichen Schmerz hatte ich damals in der Kirche auch in seinen Augen sehen können. Heute war die Beleuchtung viel zu schlecht und er stand zu weit weg.
Jedoch bildeten sich um seine Augen Lachfältchen und er drängte sich hastig durch die Menge, während er mich immer noch mit seinem Blick taxierte. Amanda wippte aufgeregt mit den Füßen, weil sie offenbar dachte, er käme geradewegs auf sie zu. Ups. Ich wurde von oben bis unten einer Musterung unterzogen, als er vor uns stehen blieb. Dann lachte er laut auf und schloss mich in eine Umarmung. Automatisch umarmte ich ihn zurück und bekam sofort einen Blick von Michel, der Bände sprach. Hatte ich schon erwähnt, dass Michel unheimlich eifersüchtig war? Aber auch, wenn mein eifersüchtiger, selbstbezogener, anstrengender Freund mich manchmal in den Wahnsinn trieb, war er genau das, was ich brauchte und ich fühlte mich wohl mit ihm.
Im Augenwinkel nahm ich Amandas verdutztes und leicht resigniertes Gesicht auf. Sie war wie ein Kind. Wenn sie etwas haben wollte, dann durfte kein anderer damit spielen. Unbeholfen versuchte ich die Situation aufzuklären, weil ich nicht wollte, dass sie etwas falsch verstand: „Amanda, das ist Pat. Er ist ein alter Bekannter.“ Ich konnte ihren Gesichtsausdruck nicht deuten, aber wie sie so die Haare zurück warf und ihn von der Seite musterte, sah sie schon wieder besser gestimmt aus. Pat hingegen strahlte uns an, als habe er gerade drei Ecstasies geschluckt. Ich konnte in seinen Augen sehen, dass er gerade an alte Zeiten dachte. Mit einem schiefen Lächeln sagte er: „Von wegen alte Bekannte. Diese junge Dame hier war über beide Ohren in mich verliebt.“ Er klang so stolz, wie ein Vater und ich presste die Lippen aufeinander, während mir Blut in die Wangen schoss. „Hey. Nichts, dass dir peinlich sein müsste.“ Er boxte mir spielerisch gegen die Schulter und fragte an Amanda gewandt: „Und wer ist dieses reizende Geschöpf?“ Er hatte offensichtlich schon etwas getrunken, denn sein Blick war verklärt. Das war Amandas Spezialgebiet. Heiße betrunkene Männer abschleppen. Sie atmete tief ein und ihre Brüste quollen noch mehr aus dem Kleid, als sie es sowieso schon taten und sie warf ihre Haare spielerisch in den Nacken. Bevor es eskalieren konnte, ging ich dazwischen. „Wie geht es eigentlich deiner Tochter?“ Ich bekam keine Antwort, nur zwei verdutzte Blicke. Einer von Amanda, die schon wieder sehr verstimmt aussah und einen von Pat, der einfach nur verwirrt aussah. Unsicher fragte er: „Welche Tochter? Ist sie gerade hier bei uns im Raum? Wieder jemand, den nur du sehen kannst?“ Ohne richtig hinzusehen, drehte er sich nach allen Seiten um und hörte erst auf, als er meinen ernsten Gesichtsausdruck bemerkte. Verlegen stammelte ich: „Ich dachte nur...das Kind...ähm...Stephansdom?“
„Ach so“, er machte eine wegwerfende Bewegung mit der Hand, „Das war meine Nichte. Sie ist ein echter Engel und kommt mich im Sommer immer besuchen.“ Ich nickte, grinste Amanda zu, um ihr zu signalisieren, dass sie ihn jetzt doch verführen könne – Ich war sicher die Letzte, die bei Pat Besitzansprüche stellte – und wollte etwas antworten, als sich eine verschwitzte Hand auf meine Schulter legte und ich gegen eine harte Brust gedrückt wurde.
„Hallo Michel“, begrüßte Amanda ihn höflich. Sie hasste ihn genauso, wie James, ließ es sich aber nie anmerken. Eine der wenigen.
„Tag auch“, er nickte ihr kurz zu ohne zu lächeln, dann starrte er Pat feindselig an. Pat streckte immer noch gut gelaunt die Hand aus und musterte Michel mit einem undurchdringbaren Gesichtsausdruck. Es war unmöglich zu sagen, was er gerade dachte. Zögernd nahm mein Freund seine Hand an. Wenn man genau hinsah, was ich tat, konnte man sehen, dass er sich bemühte Pats Hand sehr fest zu drücken. Pat ließ sich davon wenig beeindrucken. Er richtete sich zu seiner vollen Größe. „Sie sind also der glückliche Mistkerl, der Gwen erobern konnte.“ Es war nichts Unhöfliches in seiner Stimme, aber wenn ich sie mit seiner vorigen Begrüßung verglich, fehlte die Wärme. Außerdem war der spielerische Funken in seinen Augen erloschen. Neben mir räusperte sich Michel unnötig lange und versuchte sich aufzubauen, um annähernd Pats Höhe zu erreichen. Es misslang ihm. Dann nickte er einfach nur, so als müsse er sich dazu herablassen, seine Feststellung zu bejahen. Ich konnte das nicht länger mitansehen.
„Pat, darf ich dir Amanda Alcott vorstellen? Amanda, das ist Patrick Sieber.“
„Du hast uns schon vorgestellt“, flüsterte sie grinsend. Ich warf ihr einen Blick á la la Ist dir was besseres eingefallen und forschte nach anderen Begrüßungsfloskeln, die jetzt angebracht wären. Ich war schon immer schlecht in Small Talk. Als ich mich gerade darüber auslassen wollte, wie kalt es doch für November schon ist und dass bald der erste Schnee fallen würde, rettete mich Amanda.
„Dürften wir euch bitten, uns zwei Gläser Champagner zu bringen? Es ist so stickig hier drin.“ Sie fächelte sich demonstrativ Luft vors Gesicht und schlug die Wimpern auf uns zu, worauf Pat seltsam grinste. Dann drehte er sich um und bewegte sich geschmeidig durch den Raum zu einem Kellner. Michel folgte ihm widerwillig.
„Danke Am. Du bist meine Rettung.“
„Bin ich doch immer Schätzchen. Aber jetzt mal ehrlich, ich lasse natürlich sofort die Finger von diesem Schnittchen, wenn du es willst, aber nur wenn ich muss.“
Das war leider viel schwieriger, als sie ahnte. Ich hätte ihr natürlich erzählen können, dass er der beste Freund meines Bruders war und sie hätte es sofort verstanden und von ihm abgelassen. Nicht, weil ich ihn interessant fand, sondern weil es immer noch weh tun musste mit ihm zu reden. Nur tat es das seltsamer Weise nicht. Damals schon. Im Stephansdom. Aber hier und heute. Es war viel weniger schlimm, als ich gedacht hatte. Ich schüttelte vehement den Kopf.
„Kommt nicht in Frage, dass du dir diesen Mann entgehen lässt.“  Außerdem schmiss sie ihn sowieso am nächsten Tag wieder aus ihrer Wohnung, als was solls. Amanda grinste mich breit an. Immer wieder erkannte ich aufs Neue, dass sie wirklich einzigartig schön war. Sie würden ein gutes Paar abgeben, Pat und sie. Zu Schade, dass meiner aller besten Freundin auf Lebzeiten Beziehungen zwischen Männern zuwider waren.

Als Pat und Michel mit jeweils zwei Gläsern zurückkamen, versuchte ich mich elegant und dezent mit Michel im Schlepptau zu entfernen. Ich hatte Amanda heute schon lange genug für mich beansprucht. Jetzt war es Zeit für ihre Verführungsnummer.
Gelangweilt schlenderte ich mit meinem Freund dem genialen Künstler zurück zu seinem Gemälde und er fing sofort ein Gespräch mit einem anderen Mann an, der sein Bild hier ausstellte. Es ging um den Impressionismus so weit ich zuhörte. Ich kam mir ziemlich fehl am Platz vor. Michels Bekannte konnten mit mir einfach nicht warm werden. Ich verstand nichts von Kunst und noch weniger von deren Bedeutung. Ich hatte Michel zwar auf der Uni kennen gelernt, aber nur weil ich damals alles studiert hatte, um heraus zu finden, was ich wollte. Jetzt gehörte mir ein kleiner Verlag mit ein paar Angestellten und ich war glücklich so. In ein paar Wochen würde ein neues sehr vielversprechendes Buch erscheinen von Patrica. Einer der wenigen Autoren in meinem Verlag mit der ich wirklich gut befreundet war. Ich musste unabsichtlich vor mich hingelächelt haben, als James wie aus dem Nichts vor mir aufgetaucht war.
„Was macht dich denn so glücklich?“
„Nichts“, murmelte ich in mein Glas.
„Arbeit?“ Ich lächelte in mich hinein und nickte nur. Wie kam es nur, dass er mich so gut kannte? Er schien meine Gedanken lesen zu können. Michel warf mir über die Schulter einen vielsagenden Blick zu und auf einmal war ich nur mehr schrecklich müde. Von seinen tadelnden Blicken, seinem Verhalten gegenüber Pat und seinem Gemälde. Vor allem seinem Gemälde. Ich drückte ihm einen Kuss auf die Wange und flüsterte ihm ins Ohr:
„Ich bin unendlich müde. Die Woche im Verlag heute war hart.“
„Babe, du weißt ich mag es nicht, wenn du alleine in Wien herumspazierst“, er runzelte die Stirn und sah mich ernst an. Das war das Tolle an Michel, er war immer um mich besorgt. Fürsorglich, hilfsbereit und eigentlich ziemlich nett.
„Ist schon gut, James begleitet mich doch.“ Michel verdrehte daraufhin nur die Augen und schnaubte verächtlich. Ich setzte schnell hinzu: „Sonst verderbte ich dir nur den ganzen schönen Abend. Das ist deine Sternstunde. Ich schreibe eine SMS wenn ich zu Hause bin“, und damit drängte ich mich schon an ihm vorbei, ohne dass er etwas erwidern konnte. Ich wollte nicht streiten. Das war alles so auslaugend. Mit einem letzten Blick über die Schulter sah ich eine kichernde Amanda mit einem strahlenden Pat. Er hob den Kopf, als hätte er gespürt, dass ich ihn ansah und nickte mir leicht zu. Ich nickte zurück. Michel hatte sich schon wieder dem anderen Künstler zugewandt und verfocht seinen Standpunkt offenbar mit Leib und Seele. Da drängte sich Sam schon zwischen die beiden und legte einen Arm um Michel. Das musste ich wirklich nicht mitansehen und damit trat ich aus der Türe. Die kalte Nachtluft ließ mich nüchtern werden und ich schlug meinen Mantel enger um den Körper. James tauchte neben mir auf und musterte mich ernst.
„Dir ist kalt, sollen wir ein Taxi nehmen?“
„Ich habe kein Bargeld mehr und keine zehn Pferde bringen mich da wieder rein. Lass uns einfach spazieren gehen.“ Er runzelte die Stirn sagte aber nichts.

Schweigend gingen wir eine Weile nebeneinander her. Er steckte sich eine Zigarette an. Das tat er immer, wenn ihm etwas im Kopf rumging. Ich vermutete, dass er noch nicht fertig war mit dem Michel Streit. Aber ich war so müde, ich wollte über alles andere sprechen, nur nicht über ihn.
„Wie war dein Tag so?“ Er lachte. Dieses jungenhafte Lachen mit dem er aussah, wie ein kleiner Junge.
„Wie mein Tag war? Wie lange hast du mir diese Frage schon nicht mehr gestellt?“
„Ein paar Jahre“, gab ich zu. Die Abmachung hatten wir getroffen, als er High zu mir in die Wohnung torkelte und mir, nachdem er mir von nackten Brüsten und geilen Ficks – seine Worte, nicht meine – vorschwärmte, den Teppich vollspuckte und dann in der Badewanne kollabierte. Danach wollte ich nichts mehr wissen, was er trieb, wenn er nicht bei mir war.
„Also, da du gefragt hast, weil du anscheinend wirklich wirklich nicht über deinen bescheuerten Freund reden willst, verrate ich es dir. Nachdem ich die dritte Speed Tablette eingeworfen habe bin ich nackt auf dem Kinderspielplatz herumgehüpft und Mr. Schnuffel geheiratet.“
„Mr. Schnuffel?“ Ich konnte meinen Schock nicht verbergen. Er nahm also immer noch Drogen? Ich meinem Kopf rasten die Gedanken und meine Augen brannten plötzlich sehr. Mit weicher Stimme fuhr er fort:
„Du glaubst mir also immer noch alles. Gut zu wissen“, er schüttelte grinsend den Kopf und stellte sich geradewegs in meinen Weg, sodass ich anhielt und ihn ansah. Seine großen Augen glitzerten verspielt und er fuhr sich mit der Hand durch die kurzen braunen Haare. Offenbar hatte er erkannt, dass er mich aus der Fassung gebracht hatte. Sich durch die Haare fahren war eine Geste, die er immer trat, wenn er verlegen war. Langsam verstand mein aufgeregtes Hirn, dass er mich hereingelegt hatte. Erleichtert seufzte ich und ließ die Schultern hängen. Der ganze Abend war anstrengend gewesen, aber sauer auf James zu sein und sich gleichzeitig übermenschliche Sorgen um ihn zu machen, das hätte mich hier auf der Straße vermutlich tot umfallen lassen vor Müdigkeit.
 „An Mr. Schnuffel erinnerst du dich aber noch oder?“ Ich konnte nur matt nicken. Mr. Schnuffel war mein erster Ehemann, als ich sechs Jahre alt war. James hatte damals die Trauung durchgeführt. Mit acht ließen wir uns dann aber Blitzscheiden, weil ich unbedingt mit James durchbrennen wollte. Wir kamen bis zur nächsten Bushaltestelle, als meine Mum mich am Kragen packte und zurück schleifte. Tja, schon damals war meine Mutter eben keine Romantikerin.
Wir verfielen wieder in schweigsames Schlendern und passierten den Stadtpark. Hier tummelten sich bei Nacht ziemlich üble Gestalten, aber mit James an meiner Seite hatte ich eigentlich nie Angst. Er gab mir ein Gefühl von Sicherheit. Von Geborgenheit.

Als wir vor meiner Wohnung standen, gut zwei Stunden nachdem wir die Party verlassen hatten, streifte mich James Hand am Nacken und mich überkam eine Gänsehaut. Es war immer so merkwürdig, wenn er mich berührte.
„Es tut mir leid, dass wir heute gestritten haben“, raunte er mir ins Ohr. Ich hätte jetzt vermutlich seinen Atem spüren können. Er wäre warm und würde nach Pfefferminz riechen.
„Mir auch“, murmelte ich. Es machte mich immer verlegen, wenn James mir so nahekam.
„Du weißt, dass ich recht habe.“ Ich zwang mich ihn anzusehen. War das sein Ernst? Er entschuldigte sich, nur um dann wieder anzufangen? Angriffslustig sagte ich: „Ach so? Du glaubst doch immer, dass du recht hast.“
„Habe ich ja auch“, seine Stimme wurde eine winzige Spur lauter.
„Nein hast du nicht“, meine Stimme hallte in der leeren Straße.
„Wie kann man sich nur so selbstbelügen. Du liebst diesen Kerl nicht.“
„Das ist nicht fair. Michel ist fürsorglich und nett. Zwei Eigenschaften, die dir heute offenbar abhanden gekommen sind.“
„Gwen, sag mir endlich, wieso du mit diesem Mistkerl zusammen bist. Es muss einen Grund geben.“ Verzweiflung schwang in seiner Stimme mit und weichte mein Herz auf. Das konnte er so gut. Doch, wie konnte ich ihm die Wahrheit sagen? Natürlich hatte er recht. Ich liebte Michel nicht. Aber er bedeutete mir etwas und er war gut zu mir. Wie hätte ich denn auch nur mit jemanden zusammen sein können, der mir wirklich etwas bedeutete, wenn der Mann den ich liebte doch vor mir stand. Aber das würde ich ihm nicht sagen. Konnte ich ihm nicht sagen. Ich schüttelte leicht den Kopf. Auf einmal überkam mich unglaubliche Wut. Auf James. Auf Michel. Auf das Leben. Aber vor allem auf mich selbst. 
„Ich würde dich niemals so behandeln, wie er, Gwen.“ Es war nicht mehr als ein Flüstern. Da platzte mir der Kragen. Er würde mich nicht so behandeln? War das sein scheiß ernst?
„Das könntest du auch nicht. Du bist ein Geist.“



Like us on Facebook

Flickr Images